Reality is Ralph

12. September 2007

„Reality is Ralph“ ist eines der seltsamen geflügelten Sprachspielchen die Stephen Kings „Lisey’s Story“ durchziehen, ich nehme an es ist ein Wortspiel auf „reality is rough“ (obwohl mir tough oder harsh da besser gefielen…).

Wie so oft fliesst mein Hirn über mit Assoziationen und ich versuche verzweifelt zu organisieren, ein paar der roten Fäden zusammen zu bekommen. Fangen wir mit dem einfachsten an. Manchmal braucht es einen Schuß vor den Bug um zu kapieren dass man sich übernommen hat. (Eher: meistens). Manchmal ist das Leben oder das eigene Hirn einfach zu viel. Meist beides…

Aktuell ist es eine Grippe / Erkältung (abgrenzen liesse sich das nur mit einem Arztbesuch den ich gerne vermeiden möchte weil er ausser Ratschlägen die ich mir selber geben kann und einer Medikamentenverordnung die ohnehin rezeptfrei/OTC ist nur bedeutet, in einem Wartezimmer rumzusitzen und sich die üblichen Platitüden anzuhören) die mich ins Bett befördert hat. Ich muss zugeben, das war lange überfällig.

Was mich die letzten 30 Stunden die ich mit hohem Fieber, Schüttelfrost, totaler Erschöpfung, Mach-2-Niesen und körpererschütterndem Husten verbracht habe gelehrt haben, ist – neben vielen anderen Dingen – dass mein Körper und Geist Ruhe brauchen, ob ich will oder nicht. Das mag von aussen nicht so aussehen und es ist für mich schwer zu akzeptieren (manchmal komme ich wohl doch auf meine Mutter, auch wenn ich nie gedacht hätte dass ich das mal sagen würde), aber es ist dennoch wahr, ICH BRAUCHE RUHE.

„Ich habe realisiert“ lag mir auf den Tasten und dann wurde mir abrupt klar dass das nur ein weiterer Anglizismus, ist, von I realized, und ich komme zurück auf „ich habe begriffen“, dass, auch wenn ich das gern anders hätte, ich momentan am Ende meiner seelischen Leistungsfähigkeit bin, und dass sich das wohl nicht ganz zufällig in einer Erkrankung niederschlägt, die mir eine Zwangspause verpasst. (Gedanklicher Abschweifer, nicht nur weil ich gerade King auf Englisch gelesen habe, stelle ich fest, dass mein Hirn zunehmend zweisprachig agiert – ich habe schon früher auf Englisch gedacht und geträumt, aber momentan ist die Grenze zwischen beiden Sprachen oft total verwischt, nicht selten stelle ich fest dass englische Ausdrücke einen Sachverhalt für mich treffender, prägnanter ausdrücken als das oft schwerfällige Deutsch. Sollte ich je einem Reinkarnationstherapeuten begegnen muss ich feststellen ob ich in England oder Amerika schon mal gelebt habe…)

Die Zwangspause bedeutet auch mich mit so allerlei auseinanderzusetzen das mehr oder weniger offen in mir gärt. Dass 2007 ein Jahr der Veränderung sein würde, war mir schon am 1.1. klar, wenn ich auch nicht weiss wieso, und bisher hat sich das in jeglicher Hinsicht erfüllt.

Gedankensprung. Mein Vater liegt im Krankenhaus, höre ich über den Buschfunk. Ich habe am 31.12.1999 das letzte Mal mit ihm gesprochen und es würde mich arg überraschen sollte ich in dieser Existenzebene noch einmal seine Stimme hören – sein Gesicht sehen, vielleicht. Ich frage mich, ob ich zu einer Beerdigung anreisen würde. Lege ich da Wert drauf? Ausser sozialem Druck und Stress bringt das ja recht wenig… vielleicht, als Schwellenritual, als Geisteraustreibung? Aber ist mir das die Sache wert, mich mit den anderen dort auseinandersetzen zu müssen? Soziale Zwänge sind so gar nicht meins…

Ich muss ein paar rechtliche Dinge klären, für den Fall dass er Pflegefall wird, die ich schon zu lange habe schleifen lassen… *seufz*. Über meinen Vater muss ich auch noch mal ein längliches Post schreiben, wird mir klar, einfach um das Thema endlich von der Seele zu haben, ebenso wie einen generellen Abschluss zu meiner ersten Ehe.

Ich wollte nie heiraten… und nun bin ich zum zweiten Mal verheiratet. Aber wie hätte ich ahnen können dass ich einen wahren Seelenverwandten treffe. Dass es sowas überhaupt gibt. Ich wollte nie heiraten, weil die Ehe meiner Eltern, die Verhältnisse innerhalb meiner Familie mir ein grosses !NEIN! eingebrannt hatten…

Ich wollte auch nie Kinder, und auch das ist meiner Familie zu verdanken. Wenn ich über irgendwas froh bin, dann dass ich ein Einzelkind bin, dass DAS einem Geschwister erspart blieb. Und abgesehen von einem grundsätzlichen Gefühl, dass ich vielleicht, hätte ich den zweiten vor dem ersten Mann getroffen, heute zwei Kinder haben könnte (ob das für alle Beteiligten gesund gewesen wäre steht auf einem anderen Blatt), einem Gefühl, das ich ebenfalls irgendwann mal verarbeiten und abschließen muss, ist das Thema für mich gelaufen. Nicht nur dass ich zu alt bin dafür und zu krank obendrein, dass ich keinem Kind zumuten würde mit einer ADHD-Mutter mit einem IQ von >140 zu leben und bei meinem Glück ein renitentes Aspie-Kid bei rauskäme… ich denke mir, das ist einfach nicht meine Aufgabe in diesem Leben.

Aber ich schweife mal wieder ab. So schlecht der oben genannte Roman geschrieben ist, so sehr gehen mir ein paar seiner Plotlinien unter die Haut – vielleicht weil ich wie King den „haunted writers‘ mind“ kenne, vielleicht weil das Szenario, das er vordergründig beschreibt – wie jemand die zweite Hälfte seines Ichs verliert, die auch mein Mann für mich ist – für mich ebenso horrormässig wie vorstellbar ist. Ich will aus diesem so kurzen Leben das Beste machen was ich kann, für ihn, für uns. Ich habe keine Ahnungwie, aber ich bin sicher dass das jede Anstrengung wert ist. Reality is Ralph.

Ich weiss allerdings nicht woher ich die Kraft nehme – ich weiss auch nicht woher meine Mutter die Kraft für die letzten 30 Jahre genommen hat… vielleicht sollte ich sie mal fragen, aber ich glaube irgendwie nicht dass ein so emotionales Thema zwischen uns wirklich passend wäre.

Der „Urlaub“ diesen Sommer war totaler Stress – körperlich ging es ja noch, aber emotional, sozial war das so viel dass ich noch in 6 Monaten in Katatonie verfallen könnte wenn ich nur dran denke. Diese Lektion habe ich schmerzlich gelernt. Der nächste „Urlaub“ wird ebenfalls keiner – es stehen Familienpflichten und Renovierung an. Ich bin energetisch auf dem Zahnfleisch… wie ich das bis Ende 2008, wenn ein „richtiger“ Urlaub geplant ist, durchhalte – keine Ahnung. Ich weiss nur, der Liebste und ich haben uns übernommen. Das geht dieses Mal noch durch, nächstes Mal werde ich mich mit Händen Zähnen Klauen und allem was mir zur Verfügung steht wehren, ich werde sagen, fuck duty, ich werde mir das nicht nochmal so antun. Okay, mein Buch wird erst nächstes Jahr fertig – so be it. Ich möchte nicht mit Magengeschwür, Ekzem, Krebs, wasauchimmer mein Leben vorzeitig beenden, dafür ist es mir zu kostbar.

Das Schwierigste dran ist, mir selber das Nichtstun, die Erholung zuzugestehen, besonders da der Liebste ebenfalls auf dem Zahnfleisch geht und ich auch etwas für ihn tun muss. Sobald ich kann, mein Stern, versprochen!

Eine Antwort to “Reality is Ralph”

  1. chaosqueen Says:

    Ich bin auf der Suche nach ADS und Antidepressiva irgendwie hier gelandet und bin gerade bass erstaunt, etwas zu lesen, das ich mit leichten Modifikationen selber geschrieben habe … ADS, ja, hochintelligent, ja, immer zu viel um die Ohren, ja, daher kurz vor dem Nervenzusammenbruch, ebenfalls ja, Roman schreiben, auch ja … Keine Kinder wollen, weil man sich ihnen nicht antun will – auch ja. Wobei ich noch die Hoffnung habe, eines Tages den Mann zu finden, der mich weit genug ausgleicht, so dass ich vielleicht doch das Experiment wage.
    Tja, eigentlich wollte ich nur sagen: Schön, dass man nie alleine ist und es immer wieder andere gibt, denen es ähnlich geht und die einen verstehen.


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