Depressionen sind okay

11. Dezember 2007

Gerade schaue ich Snooker auf Eurosport. Ronnie O’Sullivan spielt. Der Moderator lässt sich en detail (zum wiederholten Male, aber meist ist es nur Randnotiz) darüber aus dass Ronnie O’Sullivan an Depressionen leide, was auch sein Spiel beeinträchtige (ach). Und wenn es mal nicht so laufe dann treffe ihn das eben auch härter. (Warum?).

Was ich daran vor allem faszinierend finde ist, dass Ronnie O’Sullivan der prototypische Hypie ist. Jemand, der einen extremen Hyperfokus hinbekommt und dann alle überflügelt. Jemand, der sich mit Drogen, exzessivem Sport oder was auch immer als Selbstmedikation gerade wirkt, zentriert. Um den Observer zu zitieren:

Ronnie O’Sullivan, snooker’s most talented but most troubled star, is finally emerging from a period of darkness and despair. (…) He had won the British Grand Prix 48 hours previously with a series of bravura performances, outrageous even. He switched from right to left-handed with a nonchalance that brooked disbelief. He looked slimline and completely focused. No one could live with him. (…)

Und über den jungen Ronnie, dessen Eltern beide Haftstrafen (für ein Sex-Business bzw Mord) absaßen und noch -sitzen:

Left on his own, O’Sullivan went on an orgy of drinking and drug-taking. He then became addicted to food instead and put on three stone. He was treated for depression.

Wir haben also eine dysfunktionale Familie, Drogen- und Essensmißbrauch, einen funktionalen Beidhänder, der zwischen extremem Hyperfokus und Phasen der Niedergeschlagenheit oszilliert, sich mit Alkohol zudröhnt, sogar ein Turnier aberkannt bekam weil er gekifft hatte, oder wie die BBC schrieb:

A father in jail, a mother who has been in jail, drug abuse, arguments, fights and bouts of depression.

Gut, Depression ist offenbar als Diagnose akzeptabel. In der Wikipedia steht, er leide an „bipolar disorder“, also sei manisch-depressiv, und wenn man ihn in seinen brillanten Frames spielen sieht, mag es einem so vorkommen. Was ihm aber ganz offensichtlich abgeht, das wird auch aus dem Interview mit dem Observer deutlich, ist das Hoch, das manische Phasen meist mit sich bringen – statt dessen ist er selbst in seinen großartigsten Momenten hochgradig perfektionistisch und selbstkritisch, und er kann jederzeit von einer in die andere Stimmungslage kippen. Das spricht eine andere Sprache. Ich behaupte, ja, der Mann ist sicher depressiv, das ist eine bekannte Komorbidität bei ADHS, aber ich wette, dass die tatsächliche Diagnose ADHS lauten würde, ließe man es zu, oder wäre das opportun. Nur ist es das leider immer noch nicht. Dabei könnte es vielen helfen zu wissen, dass auch ein beliebter Star wie Ronnie mit seinem ADHS tagtäglich kämpft. Und es trotzdem zu was gebracht hat.

Wie dem auch sei: er ist – mit Hyperfokus – einer der besten Snookerspieler der Welt.

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