Linkshänder – Kranke Freaks?

17. März 2008

Gerade las ich bei der BBC, dass Wissenschaftler nun ein Gen für Linkshändigkeit ausgemacht haben wollen. Ich nehme derlei Ankündigungen immer gern cum grano salis, denn im Allgemeinen sind es keine Fakten sondern Thesen und Vermutungen, die hinter solchen Artikeln stecken, und die zum Publizieren angehaltenen Forscher formulieren natürlich die Dinge die ihnen wichtig sind, gelinde gesagt, etwas euphemistisch.

Dennoch scheint etwas dran zu sein an der Idee von der Linkshändigkeit die vererbt wird, mein Grossvater väterlicherseits war extrem spezialisierter Linkshänder, und ich bin ausgeprägte Beidhänderin. Aber halt, fast alle Websites die man zum Thema finden kann behaupte, Beidhändigkeit gebe es nicht, Beidhänder seien nichts anderes als zwangsumgelernte Linkshänder. Ahja? Dazu später…

Was mich an dem BBC-Artikel sofort anspringt, ist der Querverweis, dass das theoretische Gen für Linkshändigkeit auch theoretisch gleich mal den Besitzer desselben für Schizophrenie anfällig mache, und meine Alarmglocken schrillen – Linkshänder, alles Psychofreaks mit einer Macke?

Dass die linke die böse, die falsche Hand ist, haben tatsächlich viele Menschen in jungen Jahren noch hören dürfen. In vielen Ländern Asiens gilt die Linke als die unreine Hand, mit der man sich den Po abwischt, in manchen Sprachen, nicht nur der Deutschen, ist „link(s)“ negativ besetzt – die angelsächsische Wurzel von „left“ etwa stand auch für zerbrochen, weich, gauche im Französischen steht auch für Faulpelze, im Italienischen meint mancino unehrlich usw.

Sind Linkshänder vielleicht historisch gesehen wirklich Freaks mit einer Macke?

Auf jeden Fall scheinen sie besonders oft krank zu sein:

Linkshänder (leiden) 2mal so häufig unter Schlafstörungen und 2,5mal so häufig an Hörstörungen. Linkshänder sind deutlich anfälliger für Allergien, Fieber, Asthma, Augenkrankheiten oder anormale Hautreaktionen. Allergiker sind 80% häufiger Linkshänder. Linkshänder neigen eher zu Diabetes, sind häufiger Alkoholiker oder rauchen. Homosexuelle Menschen sind doppelt so häufig unter Linkshändern zu finden — Quelle: Psynet

Über den letzten Satz will ich gar nicht viel sagen – die Einordnung von Homosexualität unter Krankheiten ist ein Fauxpas, der wohl mehr sagt als ich über die Qualität des Textes wissen wollte…

Aber was macht Linkshänder nun so anfällig, sind es wirklich „die Gene“? Und was genau bewirken „die Gene“ denn eigentlich? Die Idee eines Gens das XY auslöst ist für die meisten Leute so etwas wie der Freibrief für „dann schalten wir X eben ab und alles wird gut.“ Nee, klar.

Wenigstens geben die Wissenschaftler des Oxford University’s Wellcome Trust Centre for Human Genetics (mir wird übel wenn ich nur daran denke welches Interesse ein Pharmariese wie GlaxoWellcome an dieser Forschung hat) zu, dass der Zusammenhang mit Schizophrenie weder evident noch irgendwie relevant sei.

Kehren wir mal zu anderen Modellen der Linkshändigkeit zurück.

Nach Gschwind / Galaburda scheint Linkshändigkeit auf erhöhte Testosteronwerte im Mutterleib zurückzugehen, welche Einfluss auf die Lateralitätsentwicklung und das Immunsystem haben können – nach ihrem Modell verlangsamen hohe Testosteronspiegel beim Fötus die Entwicklung der linken Hemisphäre, so dass sich die rechte Hirnhälfte, relativ gesehen, schneller entwickelt. Das führe zu einer Verlagerung bestimmter Gehirnfunktionen auf die andere Hirnseite, neben der Sprache u.a. auch die Händigkeit. Der Anteil der an Sprachstörungen leidenden Menschen sei bei Linkshändern deutlich größer als bei Rechtshändern. Aufgrund der niedrigeren Testosteronspiegel bei weiblichen Föten sei der Anteil der Mädchen mit sprachlichen Defiziten und Linkshändigkeit auch deutlich geringer als bei Jungen. Entsprechend beeinflusse der Testosteronspiegel auch die Schilddrüsenentwicklung und das Immunsystem.

Ich weiss nicht was ich davon halten soll… ich bin eine Frau, ich habe keine Sprachstörungen und noch nie welche gehabt, mein Immunsystem ist ein Trümmerhaufen, bei geschlechtsspezifischen Tests schneide ich wie ein Mann ab (räumliche Wahrnehmung, Abstraktion, technisches Verständnis etc.). Vermutlich spielt das Testosteron eine Rolle, aber ich glaube, das ist auch ein Fall von „für Besitzer eines Hammers ist jedes Problem ein Nagel“. Multikausalität ist ein Wort das viele Wissenschaftler aus naheliegenden Gründen nicht gern mögen – es macht ihren Job fast unmöglich, tolle einfach verwertbare griffige Ergebnisse zu liefern.

Aber zurück zur Schizophrenie … Forscher der Universität Nashville untersuchen, warum viele Schizophrene Gedächtnisprobleme haben. Ihr Ansatz ist, dass „Normale“ feste Gehirnareale – quasi Schubladen, Ordnerstrukturen – für bestimmte Erinnerungen verwenden – Schizophrene dagegen scheinen von sehr vielen vernetzten Hirnarealen Gebrauch zu machen:

Schizophrenic patients used a wider network of areas on both sides of the brain.

Researcher Professor Sohee Park said: „This suggests that while healthy people recruit a specialised and focused network of brain areas for specific memory functions, schizophrenic patients seem to rely on a more diffuse and wider network to achieve the same goal.“

Genau das ist es ja auch, was Beidhänder ausmacht. Und interessanterweise auch eine der „Fähigkeiten“ die Frauen gegenüber Männern als Vorteil zu haben scheinen – nämlich mit beiden Gehirnhälften gleichzeitig statt spezialisiert zu denken, mehr neuronale Verbindungen im Corpus callosum zu haben… Was ist nun Handicap, was Behinderung, was evolutionärer Vorteil? Und wer definiert das?

Geht es nur nach Kategorien wie dem perfekten Funktionieren in unserer Gesellschaft, sind Linkshänder (und neurologisch Andersartige generell) auf jeden Fall Freaks.

Left-Handedness: Association with Immune Disease, Migraine, and Developmental Learning Disorder lautet eine Studie von Testosteron-Theoretiker Dr. Gschwind. Und wer erstellt eine Studie über Kreativität, Sozialkompetenz, Intelligenz und andere positive Faktoren? Einige Forscher gibt es immerhin:

Research conducted by Anne Kilshaw in 1982 found that more dextrally biased, the „right-handed“, individuals tended to perform comparatively poorly on measures of mathematical ability. She reasoned that the group of individuals utilizing both hemispheres, mixed-handers, were better able to convert „spatial constructs into linguistic terms“ . In analyzing other handedness differences it was necessary to address men and women separately as results showed significant variation dependent up gender. For instance, Lester (1987) found that left-handed female undergraduates tended to be less extraverted than their right-handed counterparts. In 1993 Hassler and Gupta detected a higher level of musical talent in left-handed individuals verses right-handed. While overall, musicians were found to „exhibit less hemispheric specialization for linguistic processing than do non-musicians“. – aus: Handling the Brain

Aber noch immer interessieren sich die meisten Forscher für Pathologie mehr als für Hintergründe und Zusammenhänge… Hast Du keinen Freak schaff Dir einen. Ich sehe kommen, dass Linkshänder höhere Krankenkassenbeiträge zahlen dürfen, Linkshändigkeit ein Grund sein kann, jemanden abzulehnen (menschlich, in der Versicherung, vor der Geburt…) – und Assoziationen wie die von Geisteskrankheit helfen dabei sicher ungemein. Linkshändigkeit ist böse, macht krank, in der Bibel hätte man es vielleicht noch mit Dämonenaustreibung versucht…

Warum ich das alles schreibe? Ich sehe, dass extrem viele ADSler Links- oder Beidhänder sind, was die These eines Zusammenhangs zwischen Linkshändigkeit und neurologischer Andersartigkeit zu stützen scheint. Und es wäre interessant die Zusammenhänge – ohne Vorurteile dessen was krank oder gesund, falsch oder richtig ist – zu betrachten. Viele Allergien an denen ich leide machen evolutionär durchaus Sinn, auch wenn sie in der Industriegesellschaft ein Handicap darstellen. Vieles was wir als Krankheit bezeichnen ist Folge eines Lebensstils der homo sapiens in keiner Weise gerecht wird.

Und damit zur Beidhändigkeit… es scheint keine Einigkeit zu herrschen ob es Beidhänder nun gibt oder nicht – für Verfechter der strikten Lateralitätsthese gibt es nur entweder-oder, da heisst es kategorisch „Beidhändigkeit gibt es nicht“, andere scheinen auch in ihrem Modell zulassen zu können dass es noch andere Möglichkeiten geben könnte wie das Gehirn des Menschen sich organisiert. Dr. Holder, etwa, Psychologe an der Universtät von Indiana, forscht auf dem Gebiet der Händigkeit und Lateralisierung der Gehirnhälften, und schreibt

Some define handedness as (a) the hand that performs faster or more precisely on manual tests, while others define it as (b) the hand that one prefers to use, regardless of performance. Some think that there are two types of handedness: (a) either left or right, or (b) either right or non-right, while others think there should be three categories (to include ambidexterity). Some think there are two different kinds of ambidexterity. Some think that handedness should not be lumped into 2 or 3 or 5 categories, but rather measured along a scale of a continuum. These are just examples of a few of the differing criteria for handedness!

Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Mit weichen Kriterien, wie einem Kontinuum von Händigkeit, sind aber auch Aussagen über Gene für Linkshändigkeit und mögliche Komorbiditäten mit Vorsicht zu geniessen.

Dazu passt dann auch dieser Artikel aus Telepolis:
Die klassische Einteilung von Menschen in Links- und Rechtshänder scheint am Kern der Sache vorbei zu gehen.

Aber sauber geordnete Schubladen sind halt viel attraktiver, einfacher zu verstehen und zu behandlungsbedürftigen Krankheiten und Gendefekten zu erklären.

2 Antworten to “Linkshänder – Kranke Freaks?”

  1. Katy Says:

    Vielen Dank für diesen auführlichen Bericht. Die Flut an Informationen muss ich noch verdauen, aber das Lesen hat viel Spaß gemacht. Mein Sohn ist Linkshänder und hat eine milde Form des ADS (was auch immer das wieder heißen mag, die Lehrer treibt er jedenfalls zur Verzweiflung). Sein Imunsystem ist top in Form, ich weiß nicht wann er das letzte Mal krank war. Er hat keine Allergien und auf künstlerischer Ebene ist er eine absolute Niete. Soviel also zum Schubladenwahn unserer Wissen- und Lehrerschaft.

  2. H.-Joachim Bartoszynski Says:

    Stelle mir stets die gleichen Fragen. Bin ich Linkshänder? Sehe mich auch als beidhändig, wobei alles mit Kraft verbundene über links geht, alles mit Geschick über rechts, also auch das Schreiben. Zur Gehirnfunktion ist mir nur auffällig, dass ich mich bildhaft genau an Dinge aus der Kindheit und Jugend erinnern kann. Meine Schulkameraden nennen mich deshalb „das Gedächtnis“. Bin heute knapp 60 Jahre alt, sportlich und geistig (im Vergleich zu Gleichaltrigen)noch immer fit und will partout in keine Schublade.


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