Ein Brief der nie abgeschickt werden wird

21. Januar 2008

Lieber Hallo M.,

ich schreibe Dir diesen Brief in dem vollen Bewusstsein, dass Du ihn nie lesen wirst, zumindest ist es sehr unwahrscheinlich dass Du Dich auf dieses Blog verirrst und Dich und mich darin dann auch erkennst, schließlich ist der größte Teil davon entstanden, nachdem sich unsere Wege getrennt haben. Mir ist aber auch bewusst geworden, dass ich diesen Brief für mich schreibe, nicht für Dich, auch wenn ein wenig „closure“, um bei einem der letzten Posts zu bleiben, uns wohl beiden gut tut.

Letzten Endes hast Du sehr deutlich gemacht – was Dein gutes Recht ist – dass Du mit mir nichts mehr zu tun haben willst, und Dir so einen Brief zu schicken hätte etwas davon auf die Tränendrüse zu drücken, Dich mit meinem Zeug vollzutexten von dem Du Dich ja sehr früh im Zerbrechen unserer Ehe distanziert hast. Ich schreibe ihn also, um für mich die Dinge zu sortieren und vor allem endlich abzuschließen. 6 Jahre, nachdem ich gegangen bin, weine ich immer noch um das was hätte sein können, um unsere Träume (waren es wirklich unsere?), um uns, um ein nicht gelebtes gemeinsames Leben. Die Art und Weise wie es zu Ende ging hat Narben auf der Seele hinterlassen.

Du hast die Frage nach dem Warum nie gestellt. Also, warum bin ich gegangen? Die Antwort darauf ist vielschichtig. Die tiefste und wesentlichste Ebene ist wohl, dass ich einfach nicht mehr konnte. Ich hatte das Gefühl meine Batterien sind leer. Unser gesamtes Erwachsenenleben, zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre, waren wir ein Paar. Als ich ging, liebte ich Dich immer noch zutiefst. Ich konnte nur nicht mehr so weiter leben wie bisher, was sich bildhaft niederschlug in dem gemeinsamen Urlaub 2001, an den Du Dich vermutlich nicht erinnern willst, als ich Nacht für Nacht wahlweise in blutigen Alpträumen schwitzte oder aber 11 Stockwerke nach unten starrte und über den Frieden der Betonplatte da unten nachdachte.

Unser gemeinsames Leben hindurch habe ich Dich getragen, ich war für Dich da, mit Ideen, mit Enthusiasmus, mit Kraft wann immer Du sie brauchtest, mit Rat & Tat und Beistand zu jeder Tages- und Nachtzeit, egal wie fertig ich selbst war. Ging es mir mies, konnte ich darauf wetten, dass es Dir wenige Minuten später noch mieser gehen würde als mir und ich mich in der Rolle der starken, tröstenden Person, der Vernunft, der Mutmacherin wiederfinden würde. Eines schönen Nachts, man könnte das kathartisch nennen, als es mir wirklich dreckig ging und ich nicht mehr weiter wusste, ich Dich mit jeder Zelle brauchte, hast Du mich in den Arm genommen, und nach 40 Minuten hast Du Dich umgedreht und gemurmelt Du müssest schlafen. Und ich starrte an die Decke, allein mit meiner Verzweiflung und der Erkenntnis, dass hier etwas falsch lief.

Durch unausgegorene Pläne und eine lange Berufsfindungsphase habe ich Dir zur Seite gestanden, in guten wie in schlechten Tagen, und nun, als ich dachte Du hast endlich den Job gefunden der dir Spaß macht, der eine Basis für unser beider gemeinsames Leben darstellen konnte, der auch mir die Möglichkeit geben würde mich zu entfalten, mit Dir gemeinsam auf neue Ziele hinzuarbeiten – da konfrontiertest Du mich aus heiterem Himmel damit, dass das irgendwie ja doch alles nicht das Wahre sei und Du noch einmal von vorn anfangen wolltest. Und etwas in mir zerbrach.

Ich habe gerade die Biographie von Horst Lichter gelesen, darin steht ein Satz, der geht mir nicht aus dem Kopf. „Ich konnte bis zur Rente gucken.“ Dieser Satz schickt mir jedesmal einen kalten Schauer über den Rücken, denn dieses Gefühl kenne ich nur zu gut. In diesen Tagen in dem Jahr da ich ging, wurde mir bewusst, dass ich mein Leben vorhersagen kann. Bis zum letzten Tag. Die Familienfeiern, die ewig gleichen Fragen, meinen Kampf mit mir selbst und meinen eigenen Dämonen, die Arbeit, die Jobs die mich mehr und mehr an den Rand des Verzweifelns brachten – eine Frau mit einem IQ von 140, die langsam einging – die Urlaube, die Träume die nie das Tageslicht sehen würden, aus diesem oder jenem Grund. Das war eine ziemlich schreckliche Vision.

Und noch etwas begann ich zu begreifen: es waren immer nur meine Träume gewesen. Niemals unsere. Ich wollte so sehr von Dir Input, Enthusiasmus, eigene Ideen, Initiative, aber Dir schien es zu genügen in meinem Kielwasser zu fahren, hauptsache zusammen. Deine Liebe – und dafür danke ich Dir bis heute – war bedingungslos und hat mir die Kraft gegeben zu werden wer ich heute bin. Bedingungslose Liebe, das weiss ich heute, reicht jedoch nicht aus, um miteinander alt zu werden. Nicht für mich, zumindest. Ich wollte einen Partner, kein Kind. Du hast mir diesen Satz, den ich bei unserer Hochzeit sagte, dass ich mit Dir zusammen alt werden wolle, immer wieder durch unsere Trennung vorgehalten. Nur den Punkt mit „mit Dir“ und „zusammen“ hast Du leider nie wirklich verstanden, ich wollte nicht neben, sondern mit Dir alt werden, ein gemeinsames Leben, aber Gemeinsamkeit, das war für mich offenbar etwas anderes als für Dich.

Ich brauchte jemanden der zu mir stehen konnte wie ich zu ihm, der mich kreativ inspirieren konnte, sich für etwas begeistern, doch wirkliche Begeisterung für irgendetwas habe ich von Dir nie erlebt. Dass Du Dich nicht für meine Interessen erwärmen konntest, sei’s drum, damit hätte ich leben können, wir mussten ja nicht symbiotisch existieren, aber dass Du Dich für *gar nichts* interessieren oder begeistern konntest, dass Du Dich zunehmend in Abwesenheit oder „Müdigkeit“ geflüchtet hast, statt zu sagen was Du willst… dass Du Dich allem entzogen hast, nicht mal versucht hast neue Dinge zu probieren, meine Freunde kennenzulernen, das tat weh. Ich ertappte mich dabei, dass ich Dir zunehmend frustrierter zuhörte, wenn Du mit Kollegen und Kommilitonen telefoniertest, stundenlang, während Du mich aus Deinem Leben „ausser Haus“ aussperrtest, nichts zu erzählen wusstest, aber dann der Drang zur Mitteilung plötzlich da war, wenn nicht ich es war, die an Deinem Leben teilhaben wollte… ich wollte mit Dir leben. Was wir hatten, war Nebeneinander Leben.

So richtig begriffen habe ich das erst als ich dem anderen begegnete. Als da plötzlich jemand war, der mich auf eine Art und Weise ergänzte die ich mir nie hatte vorstellen können. Mit dem ich etwas kennenlernte, das ich längst vergessen glaubte, so nie erlebt hatte – pure, reine Lebensfreude. Es war eine Tür in ein anderes Leben, eines das ich nicht bis zum letzten Tag vorhersagen konnte, eine Tür, die mir kaum eine andere Wahl liess als sie zu durchschreiten. Wollte ich wirklich in 10 Jahren auf mein Leben zurückblicken und sagen: damals hättest Du gehen und etwas besser machen können? Nein. Es gibt Türen, die öffnen sich vielleicht nur einmal im Leben, und diese hatte meinen Namen darauf. Und dennoch – als ich damals gegangen bin, hattest Du eine Chance. Du hast sie nicht genutzt, und das tat lange, lange weh. Du hast nicht gekämpft. Du hast es nicht einmal versucht, nicht einmal für die „große Liebe Deines Lebens“. Du hast den Kopf in den Sand gesteckt und gehofft dass sich alles schon zum Besseren wendet. Hättest Du den Mumm gehabt, Dich in ein Auto zu setzen, mir 500 km nachzufahren, vor der Tür zu stehen und zu sagen: „Du bist meine Frau, ich liebe Dich, lass es uns nochmal gemeinsam versuchen, zusammen können wir das schaffen,“ ich hätte meinen Krempel gepackt und wäre Dir nach Hause gefolgt.

Statt dessen hörte ich Dir wochenlang am Telefon zu, wie Du in Verzweiflung und Tränen aufgelöst warst, wiederholtest Du könnest ohne mich nicht leben – dass ich Nacht um Nacht nicht minder bittere Tränen weinte ging Dir nicht mal auf – und wenige Wochen später hattest Du eine Freundin, die Frau mit der Du heute lebst. Das also bedeutete es für Dich, Dir Dein Leben ohne mich nicht vorstellen zu können. Und dann, Wochen später, schicktest Du mir diese Mail, die ganz offensichtlich nicht Du geschrieben hattest – wenn man 14 Jahre mit jemandem lebt und seine Briefe gelesen hat, weiss man wenn jemand anderes in die Tasten gehauen hat, diese Mail, die genau deswegen so sehr verletzte. Ich saß wie im Schock im Büro, leichenblaß, weinend, ich muss heute noch weinen wenn ich daran zurückdenke wie ich über der Kloschüssel hing und versuchte, meine Fassung wiederzufinden, Und praktischerweise war ja ich die Böse, ich war gegangen, Du warst fein raus. Aus den Augen aus dem Sinn. Wenn es doch nur so einfach gewesen wäre.

Was spielte es da noch für eine Rolle, dass Du keines Deiner Versprechen an mich im Jahr 2003 eingehalten hast… weder, meine Sachen zurückzubringen, noch während meiner Abwesenheit die Sache mit der Post zu regeln, noch das alte Bett zu zu zerlegen (das stand halbherzig angefangen in der Wohnung als ich nach 550 km Umzug nach Hause kam, dabei hätte das Abbauen Dich gerade mal 1-2 Stunden gekostet), nicht Deine mehrfach wiederholten Ankündigungen Dich zu melden, Deine Sachen zu holen, mit mir das Gespräch zu suchen über eine Trennung / Scheidung… was spielte es für eine Rolle, dass ich Anfang 2003 auf einem OP-Tisch beinahe gestorben bin, an Mobbing fast kaputtgegangen bin – während ich mir heute, 6 Jahre danach, noch Gedanken um Dich mache, war ich Dir schon zu diesem Zeitpunkt scheissegal, wie die Zusammentreffen vor dem Scheidungsrichter ja ganz deutlich gezeigt haben.

Und das ist vielleicht das bitterste Fazit von allen, denn ich wäre gern mit Dir im Kontakt geblieben. Ich war Dir nie böse, und bis zu diesem letzten Tag vor dem Scheidungsrichter, als Du die chuzpe hattest, dem Richter dreist ins Gesicht zu lügen, nur um mir nicht die paar mageren Kröten Unterhalt für zwei Jahre zahlen zu müssen, die für mich in dieser Zeit wörtlich den Unterschied zwischen Leben und Sterben ausmachten, in mehr Bedeutungen als Du Dir je vorstellen kannst, bis zu diesem Tag habe ich Dich geliebt. Doch an diesem 23. Dezember 2004, da war nicht nur unsere Ehe beendet, sondern auch eine 17 Jahre währende Liebe.

Immer noch gilt, was ich zwischen 2001 und 2004 fast täglich im Autoradio mitsang, und was mich ein halbes Jahr lang zwang, anzuhalten weil es mir eine körperliche Qual war:

I hope life treats you kind
And I hope you have all you’ve dreamed of.
And I wish to you, joy and happiness.
But above all this, I wish you love.

Nur der Part mit „I Will Always Love You“ ist nicht mehr. Und darum weine ich heute, ein letztes Mal.

Farewell.

2 Antworten to “Ein Brief der nie abgeschickt werden wird”

  1. Wüstenschnecke Says:

    Manchmal im Leben erreichen einen Erlebnisse oder Geschichten – es geschieht ohne dem eigenen Dazutun, man glaubt zufällig.
    Wie sie zu einem finden ist eigentlich auch unwichtig. Denn sie finden zu einem und berühren einen mehr als irgend etwas nach dem man bewusst gesucht hätte… Danke für diesen Brief. Nicht weil ich eine Scheidung in meinem Leben erlebt hätte, geschweige denn eine vorhergegangene Ehe… aber diese Worte aus den tiefen eines Herzen zeigen mir: ich bin nicht allein -kein Abseits der Gesellschaft. Nein es gibt zu mindest diesen Menschen, der diesen Brief verfasst hat. Und auch ohne Ehe oder Scheidung – ich finde mich und meine Gefühle und Gedanken darin wieder.
    All the best!

  2. addblue Says:

    Danke für Deinen Kommentar – auch wenn ich das hier rein für mich schreibe freue ich mich natürlich wenn sich jemand davon berührt fühlt.

    Ich kann heute übrigens den Text tatsächlich ohne Tränen und Magenschmerzen lesen…


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